von Verfasser » 4. Juli 2013, 15:35
Sirius hat geschrieben:
Was ist denn Eure Meinung zu der Frage, ob die Möglichkeit des Empfangs von Westfernsehen für 90 % der Bevölkerung zum Untergang der DDR mit dazu beigetragen hat?
Ohne Westfernsehen wäre die DDR vermutlich nicht untergegangen. Das wusste der Verbrecherstaat DDR. Darum war ja jeder Kontakt zu den Journalisten vom Westfernsehen strafbar: § 219 StGB “Ungesetzliche Verbindungsaufnahme” (“mein” Paragraph). Trotzdem wurden Bilder und Videos gemacht von Privatpersonen, die das Westfernsehen bekam und sendete. Nur sehr ungern ließ der Verbrecherstaat DDR die West-Journalisten überhaupt ins Land. Die von der SED nur widerwillig angenommene Entspannungspolitik, d. h. die Herstellung von Normalität und Öffentlichkeit durch das Westfernsehen und die allzu große Nähe der Sender, die man nicht stören konnte (übrigens beim Radio hatte man das eine Zeit lang noch gemacht) brachen dem Verbrecherstaat DDR das Genick.
Solche Bilder waren für den Verbrecherstaat DDR Gift::
uswusw.
Verfasser K.
von Verfasser » 5. Juli 2013, 22:50
karnak hat geschrieben:
Verfasser!
Meinst Du nicht, der Staat DDR ist eher und maßgeblich an den ökonomischen Unzulänglichkeiten gescheitert?
All die anderen “edlen Gründe” die da so angeführt werden, “adeln” natürlich das DDR-Volk, ob es allerdings den Realitäten entsprach, ich habe da so meine Zweifel. Über die Jahre habe ich die Spezies Mensch und deren Bedürfnisse nun mal anders erlebt.
Natürlich ist das kommunistische System an den systembedingten ökonomischen Unzulänglichkeiten gescheitert
Es hat den ökonomischen Wettlauf der Systeme (Kapitalismus/Sozialismus) verloren. Als schon längst klar war, dass es ökonomisch nicht gewinnen kann (überholen ohne einzuholen und so’n Quatsch) hielt es sich nur noch durch kommunistische Verbrechen am Leben: Todesschüsse an der Mauer, massenhafte politische Inhaftierungen, Zersetzung von Kritikergruppen usw.
Tatsache ist aber, dass das kommunistische System durch die ihm vom Westen aufgezwungene Entspannungspolitik und durch das Wirken des Westfernsehens zusammengebrochen ist
Nehmen wir doch mal theoretisch an, das kommunistische System hätte sich vom Westen (d. h. vom Feind) so abschotten können, dass kein DDR-Bürger gewusst hätte, wie relativ gut es dem Westbürger (ökonomisch) geht und wie relativ schlecht es ihm (ökonomisch) im Vergleich zum Westbürger geht. Nehmen wir auch mal theoretisch an, dass man es geschafft hätte, die Mauer als unsichtbar und nicht störend darzustellen und die Propaganda wirkte, dass das Arbeiter- und Bauern-Paradies nur gegen äußere Feinde geschützt wird und niemand von den Arbeitern und Bauern das Verlangen hätte, das Paradies zu verlassen, oder die Hölle auch nur zu besuchen.
Diese Taktik hat die Sowjetunion lange Zeit mit Erfolg angewendet. Sie konnte es, weil es kein Westfernsehen gab, weit genug weg vom Westen war, die Radiosender gestört wurden und es Internet schon gar nicht gab.
Die Sowjetbürger lebten lange Zeit in dem guten Glauben, dass es ihnen ökonomisch gut ging im Verhältnis zu den ausgebeuteten Arbeitern in Amerika. Gorbatschow war der erste, der einen unverschleierten Blick für die Außenwelt hatte, was die verbohrten Kommunisten nicht hatten. Als Gorbatschow mit seiner Frau Larissa Helmut Kohl in Deutschland besuchte, hat er sich einen Besuch bei einer westdeutschen Arbeiterfamilie gewünscht und ins Besuchsprogramm eintragen lassen. Sein Wunsch wurde natürlich sofort erfüllt. Ein Unding, wenn das Helmut Schmidt oder Helmut Kohl bei einem Besuch der DDR von Erich Honecker gewünscht hätten.
Als Gorbatschow nach Hause kam, sah er ein, dass es paradox ist, seine Arbeiter, die schon arm genug dran waren, mit dem teueren Raketenrüstungsprogramm weiter vor dem kapitalistischen Feind zu schützen, wodurch seine sowjetischen Arbeiter noch ärmer wurden.
Die Taktik des Westens (Reagan/Schmidt), den Kommunismus tot zu rüsten, ging auf. Manche (vor allem Kommunisten) bezeichnen diese Taktik als unmoralisch. Das sehe ich nicht so. Denn die Taktik des Kommunismus, sich durch Rüstung und Atomraketen vor dem unweigerlich anstehenden Untergang zu schützen und Kritiker, z. B. mich und den Physiker Michael Verleih ins kommunistische KZ zu sperren, war noch unmoralischer.
Ich bekam dreieinhalb Jahre DDR-KZ, weil ich forderte:
4. Abrüstung durch Entspannungspolitik!
5. Entspannung durch Abrüstung!
Wobei ich mit “Entspannungspolitik” und “Entspannung” natürlich weiter nichts meinte als die Abschaffung der falschen ökonomisch ineffizienten kommunistischen Gesellschaftsordnung, es natürlich nur nicht aussprach, als der SED-Genosse fragte: “Sind Sie nun für den Sozialismus?”
…
Gedächtnisaufzeichnung
Michael Verleih (Sohn eines Nazi-KZ-Häftlings) bekam vier Jahre DDR-KZ, weil er genau das Gleiche in Briefen an Politikern in Ost und West ausdrückte wie ich, nämlich dass das kommunistische System unfähig ist zu überleben, die Sowjetführung bislang versuchte, durch militärische Stärke den Prozess des Zerfalls aufzuhalten und diese falsche Politik endlich geändert werden muss.
Michael Verleih – Bankrotterklärung der Entspannungspolitik
Michael Verleih – Bankrotterklärung der Entspannungspolitik
In den achtziger Jahren verfassten Sie dann offene Briefe. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?
Ja, das hing eben damit zusammen, dass die Entspannungspolitik zu Ende war, das war deutlich zu spüren in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Der Wind wurde rauer. Und gipfelte dann in Beginn der achtziger Jahre auch mit der Abwürgung der Gewerkschaftsbewegung in Polen, des Militärputsches, des Kriegsrechtes in Polen, des Einmarschs der russischen Truppen in Afghanistan und, was ganz entscheidend war, dass die Sowjetunion … in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, zum Ende der siebziger Jahre überging, heimlich Mittelstrecken in Osteuropa zu installieren, was sie zuerst überhaupt nicht zugab.
Und ich fragte mich und wunderte mich wieder, dass… die Frage wurde im Westen überhaupt nicht gestellt, warum stellt die Sowjetunion plötzlich SS20-Raketen auf, warum machen die das plötzlich. Und im Westen wurde diese Frage gar nicht gestellt, sondern es wurde von vorn herein vorausgesetzt, also die wollen sich militärisch Überlegenheit verschaffen, deswegen werden wir nachrüsten.
Und ich fragte mich, warum machen die das? Also erstmal war es für mich eine Bankrotterklärung der Entspannungspolitik, die die Sowjetunion auch mitverfolgt hatte im Interesse deshalb, um die Nachkriegsordnung in Europa und ihren Machtbereich vom Westen anerkennen und sanktionieren zu lassen. Das war für mich der Grund der Entspannungspolitik für die Sowjetunion. Und die Sowjetunion hatte von sich heraus auch Helsinki, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wesentlich mit initiiert aus diesem Interesse heraus. Und nun plötzlich stellen sie die Raketen auf. Und für mich war klar, ich kam zu dem Ergebnis, dass die Sowjetunion diese Raketen aufstellt aus einer Schwäche heraus, aus der inneren Schwäche, aus der wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Schwäche des Systems.
Und für mich waren die Gründe für die Raketenstationierung dieselben, die heutzutage in Nord-Korea zu suchen sind für die atomare Hochrüstung Nord-Koreas. Ich war mir damals und bin mir heute immer noch sicher, dass das die Gründe waren, also dieselben Gründe für die sowjetische Rüstung damals waren, wie heute in Nord-Korea.
Man kann ein Volk nur dann beliebig quälen, wenn man an sein Imperium vor äußeren Angriffen abschottet. Also man war sich darüber im Klaren, dass man kurz davor stand, also spätestens seit dem Militärrecht in Polen, dass man über kurz oder lang den Schleier der Scheindemokratie im Osten würde fallen lassen müssen. Das war für mich der Ausgangspunkt. Und es mag heute vermessen klingen, aber es ist ja geheimpolizeilich dokumentiert. Für mich war klar, dass die DDR kurz vor dem Ende stand. Und dass das sozialistische Weltsystem in der Form seines bisherigen Bestandes vor dem Zusammenbruch stand. Und dass das der Grund war für die sowjetische Rüstung.
Ich prognostizierte in meinem Artikel drei Dinge:
a) Der Osten steht vor dem Zusammenbruch,
b) das ist der Grund für die SS20-Raketenrüstung und
c) es wird in Genf zu keiner Verhandlungslösung kommen, was bedeutete, es wird zur Stationierung von 108 Pershing-II-Raketen und 464 Marschflugkörpern in Westeuropa kommen.
Ich habe seinerzeit für den Fall, dass das Manuskript in unrechte Hände geriete, der Vernichtung anheim fiele, einige Kernsätze daraus auswendig gelernt, und hatte dann im Zuchthaus Brandenburg die Gelegenheit, sie ausgiebig zu repetieren. Ich schrieb 1983, ich zitiere:
Der gewisse Wohlstand, genauer gesagt, das Vermögen, die Bevölkerung, die Produzenten zu sättigen mit Brot, Milch Kartoffeln und Fleisch, sie zu kleiden und zu beherbergen, die soziale Sicherheit also, die man zumindest den regimetreuen Kräften und in einigem Umfange sogar der Masse der passiven, der apolitischen Bürger bieten konnte, ist wegen der systembedingten Wirtschaftskrise zeitlich begrenzt und steht kurz vor ihrem Ende. Aber nur wenn man soziale Sicherheit bietet, kann man soziale Reibungen und Unruhen vermeiden, ohne Terror anwenden zu müssen.
Die östlichen Machthaber stehen bald unter dem Zwang, ohne Inanspruchnahme offener Gewalt sich ihre letzten Tag abzählen zu können, zumal es ihrer strapazierten und überspannten marxistisch verbrämten Ideologie an positiven Inhalten und glaubwürdigen Paradiesverheißungen mangelt.
Zu der Gewalt, zu der man bei Strafe des Unterganges wird greifen müssen, werden die Ungeheuerlichkeiten des polnischen Kriegsrechts nur ein bescheidenes Vorspiel bilden. Ich erinnere an die Informationsausschaltung, die Lahmlegung und Überwachung des Telefonnetzes, die Aufhebung der Freizügigkeit, die Ausgangssperre, die Arbeitspflicht, die Militarisierung der Betriebe usw. usf.
Ein Weiterführen der Entspannung war den östlichen Machthabern derart lebensbedrohlich geworden, dass sie lieber übergingen dahin, Spannungen zu kalkulieren. Es zeigt sich also, was oft verschleiert und übersehen wird, dass nämlich die sowjetische Rüstung, ebenso wie die ihrer Satelliten wesentlich verursacht und bestimmt wird von innerpolitischen Erwägungen und Gegebenheiten. Nicht äußere, sondern innere Bedrohungen veranlassten also die Sowjetunion Mittelstrecken aufzustellen.
Da der Westen primär keinen Einfluss auf die Systemkrise des Ostens hat, hat er auch keinen primären Einfluss auf die sowjetische Rüstung. Und weil die östliche Systemkrise sich naturbedingt verschlimmert, muss sich die anfängliche Frage mit einem Nein beantworten. Es wird zu keiner Verhandlungslösung kommen. Die Sowjetunion ist an einer Verhandlungslösung nicht interessiert. Die Sowjetunion hat, indem sie erklärtermaßen Deutschland durch atomare Raketen teilen will, die deutsche Frage mit den Raketen gekoppelt.
Weil dies alles so ist, befindet sich Deutschland durch die Frage eventueller Stationierung amerikanischer Raketen in einer bei der Abfassung des Doppelbeschlusses unberücksichtigten Sonderrolle. Die historische Situation ist einmalig. Kleinstaaterei und politisches Nichtstun können die nationale Einheit, wie ich zeigte, über Jahrhunderte nicht zerstören. Zerstörerisch wirkt aber, wenn die Nation die Lösung einer sich verbindenden Aufgabe nicht einmal wahrnimmt. Die Raketenfrage ist eine Aufgabe, die uns Deutsche teilen, oder, von der Sowjetunion ungewollt, verbinden kann. Sie kann uns zusammenfügen und Deutschland kann zum Segen seiner Nachbarn werden.
Der Osten muss beim Wort genommen werden. Wie wäre es, wenn in der gegenwärtig gespannten Lage die Bundesrepublik der Sowjetunion, den anderen Siegermächten und der Deutschen Demokratischen Republik zum Abbau der Spannungen und zum Zweck einer stabilen atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa einen Prozess der Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands bis zum Jahr 2000 mit anschließendem Friedensvertrag und Abzug ausländischer Truppen öffentlich vorschlüge und sich hierfür Verbündete suchte als Alternative zur Raketenpolitik?
Die Alternative zur Raketenbestückung Europas heißt Wiedervereinigung Deutschlands. Die Risiken des Wiedervereinigungsprozesses sind nicht so groß wie die der Raketenrüstung. Statt schlimmerer Waffen benötigt Deutschland intelligentere Politiker. Zitat Ende.
Am 3. Oktober 1983 wurde ich verhaftet. |
Michael Verleih: Operativer Vorgang Mephisto
Michael Verleih: Operativer Vorgang Mephisto
Man verurteilte mich nach § 106 wegen staatsfeindlicher Hetze im schweren Fall zu vier Jahren Haft und brachte mich anschließend ebenfalls in das Zuchthaus Brandenburg, in dem die Nazis 40 Jahre zuvor etwa meinen Vater schon inhaftiert hatten. |
Es ist erstaunlich, wie sehr die Auffassung des Physikers mit meiner übereinstimmt. Auch unsere politischen Schicksale im Verbrecherstaat DDR sind von verblüffender Ähnlichkeit geprägt.
Verfasser K.
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