Ehepartner von Haftopfern

Ehepartner der ehemaligen politischen Gefangenen in der DDR haben regelmäßig (als die Haftopfer in Haft waren) ebenso gelitten, sind von der Stasi ebenso politisch verfolgt, unterdrückt, drangsaliert, beruflich diskriminiert, ungerecht behandelt, finanziell (Arbeitsentgelt, Altersrente) und gesundheitlich geschädigt (traumatisiert) worden wie die Haftopfer selber.

Ehefrau eines Haftopfers

Meine Frau leidet an Klaustrophobie und musste sich im Westen, nachdem ich aus der DDR-Haft freigekauft wurde und sie mit dem Kind zu mir nachreisen durfte, von einem Psychotherapeuten behandeln lassen. Ich kann mit ihr im Auto nicht durch einen Tunnel fahren, wenn sie nicht weiß, wie lang er ist und sie das Licht am Ende des Tunnels nicht sieht. Sie kann keinen Aufzug benutzen und muss Treppe steigen, auch wenn das Ziel im 8. Stock liegt. Eine Gaststätte oder einen Supermarkt betritt sie nur, wenn sie den Fluchtweg nicht aus den Augen verliert. Sie bekommt sonst Herzrasen und Todesangst. Eine auf Grund ihrer Migräne erforderliche Computer-Tomographie musste abgebrochen werden, weil sie Angst hatte zu ersticken. So fiel das überhaupt erst einem Arzt auf, der sie prompt an einen Psychotherapeuten überwies. Sie klagt über manchmal bei dem geringsten Anlass auftretende Beklemmungen und Schmerzen in der Brust, hat viel zu hohen, manchmal zu niedrigen, schwankenden Blutdruck. Der Arzt kann keine körperlichen Schäden am Herzen oder im Blut feststellen. EKG und Cholesterinwerte sind bei ihr völlig normal. Sie ernährt sich auch gesund. Die Behandlung durch den Psychotherapeuten dauerte viele Sitzungen, was die Techniker-Krankenkasse bezahlte. Die Klaustrophobie wurde durch Verhaltensmaßregeln, die man ihr mit auf den Weg gab, etwas gelindert, aber die gesamten gesundheitlichen Beschwerden nicht beseitigt, wozu auch extreme Schreckhaftigkeit und Nesselfieber gehören, die zuerst beim Kontakt mit der Stasi aufgetreten sind und in Schüben manchmal noch wiederkehren.

Als ich bei der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen fünf Monate lang in U-Haft saß, wurde meine Frau bei jedem Besuch von “meinem” Stasi-Vernehmer vernommen, was einer kurzzeitigen Inhaftierung gleichkam. Sie hatte Angst, aus dem Gebäude nicht mehr herauszukommen, weil sie ja das Ergebnis der Vernehmung durch die totale Rechtsunsicherheit, die in der DDR herrschte, schwer einschätzen konnte, währenddessen das 12-jährige Kind zu Hause wartete. Zur Vernehmung wurde sie durch einen uniformierten Armeeangehörigen zunächst über viele Gänge geführt. Jeder Gang hatte Türen, die auf- und wieder zugeschlossen wurden. In einem fensterlosen Aufenthaltsraum musste sie zunächst eine ungewisse Zeit warten. Die Tür hatte keine Türklinke. Dann ging es zur Vernehmung. Der Vernehmungsraum wurde bewacht durch einen Armeeangehörigen mit Maschinenpistole. Als ihr schlecht wurde, weil der Vernehmer ihr einreden wollte, dass ich nichts mehr von ihr wissen wolle, wollte sie hinauslaufen. Der Vernehmer rief: “Sie können hier nicht raus!” Sie war in dem Gebäude praktisch gefangen, hilflos und allein den Psychomethoden der Staatsmacht ausgeliefert.

Der Psychotherapeut hat festgestellt, dass die Klaustrophobie meiner Frau mit den noch immer unverarbeiteten Erlebnissen bei der Stasi und überhaupt mit ihren Erlebnissen in der DDR-Diktatur und während meiner Haft zusammenhängt. Als ich in der DDR nach meiner fristlosen Entlassung nur noch die Hälfte meines Nettoeinkommens hatte, war meine Frau bereit mitzuverdienen. Seit der Geburt ihres ersten Kindes war sie aus Fürsorge für das Kind zu Hause geblieben, was jetzt nicht mehr unbedingt nötig war, da es für das sechsjährige Kind die Möglichkeit des Schulhortes gab. Der Arbeitsplatz wurde ihr von der Stasi diktiert. Eine andere Arbeit, wohin sie sich als biologisch-technische Assistentin bewarb und wo der Fachabteilungsleiter, der offenbar nicht der Stasi angehörte, sie gern genommen hätte, konnte sie nicht bekommen. Ihre Erfahrungsjahre wurden nicht angerechnet. Sie erhielt zunächst auch nur einen befristeten Arbeitsvertrag, was für den “Sozialstaat” DDR sehr ungewöhnlich war

Bevor sie anfing zu arbeiten, wurde ihr Ruf geschädigt. Eine dort arbeitende Assistentin war Ehefrau eines Offiziers des Wachregiments Feliks Dzierzynski und verbreitete unter völliger Verdrehung der Tatsachen, meine Frau müsse anfangen zu arbeiten, weil ich beim Fernsehen der DDR in einer mir vorgelegten Resolution “Meine Stimme gegen die Neutronenbombe” das Wort “gegen” gestrichen und “für” eingesetzt hätte und entlassen werden musste. Das wäre in einer Versammlung im Wachregiment so ausgewertet worden, an der ihr Ehemann teilgenommen hätte. Eine von der Stasi organisierte Legende. Zersetzung von politischen Gegnern. Mit Schwefelsäure getränkte Katalysatorbruchstücke (meine Frau arbeitete in einem chemischen Labor) wurden in ihre Handtasche getan (vermutlich von dieser “Dzierzynski”-Dame), um ihre Widerstandsfähigkeit zu testen oder sie irre zu machen. Zersetzung im wahrsten Sinne des Wortes … mit Säure. Ihr Chef, der das alles mitbekam, gestand ihr später (um zu prahlen), Mitarbeiter der “Sicherheit” zu sein. Es gelang meiner Frau schließlich, den Betrieb zu wechseln und im Gesundheitswesen bei der Erforschung von Grippeschutzimpfstoffen als Assistentin zu arbeiten. Sie absolvierte, wie ihre Kolleginnen, erfolgreich Weiterbildungslehrgänge. Bei der damit verbundenen Gehaltserhöhung wurde sie (von der Staatssicherheit) “vergessen”.

Die Stasi drang konspirativ in unsere Wohnung ein, schnüffelte in meinen Unterlagen, brachte auch den Nähkorb meiner Frau durcheinander und hängte zum Zeichen, dass sie da war, ein Bild von der Wand ab. Das sollte Angst und Unsicherheit verbreiten und zeigen, wer die Macht hatte, nicht der Bürger, sondern der Staat (Orwell “1984″!). Unser Auto, das in einem abgeschlossenen Gartengrundstück stand, wurde mit obszönen Texten beschmiert. Unterwegs hatte ich einen Platten. Ich bemerkte einen Nagel im Reifen.

Ziel der Stasi war es, unsere Ehe auseinander zu bringen, indem sie unsere Familie systematisch zersetzte. Nur über Umwege fand meine Frau heraus, an welchem Tag, in welchem Ort und in welchem Gerichtsgebäude die nicht öffentliche Gerichtsverhandlung stattfand. Als sie sich am Verhandlungstag zusammen mit unserem Pfarrer Lutz Gümbel und einem Freund Klaus Jadczak im Gerichtsgebäude in Potsdam aufhielt, sah sie, wie ich mit vier Mann Bewachung und Knebelkette gefesselt, aus dem Gerichtssaal die Treppe hinunter in eine Zelle im Keller geführt wurde. Das Gericht wollte in die Mittagspause gehen.

Mein Pfarrer rief mich mit meinem Namen, damit ich auf ihn aufmerksam werde. Um einen erneuten Blickkontakt unmöglich zu machen, wurde ich nach der Pause auf dem Rückweg vom Keller von außen über einen Hintereingang und eine Treppe, die über den Dachboden führte, praktisch von oben kommend, zum Gerichtssaal geleitet. Als am nächsten Tag die Urteilsverkündung war, waren meine Frau, mein Pfarrer und der Freund wieder im Gerichtgebäude. Es herrschte im Gegensatz zum Vortag reger Betrieb auf den Gängen. Die Urteilsverkündung war öffentlich, die Urteilsbegründung dagegen nicht. Als meine Frau das Urteil 3 1/2 Jahre hörte, weinte sie. Sie wurde sofort, zusammen mit Pfarrer und Freund von der Stasi aus dem Gerichtsgebäude auf die Straße gedrängt. Der Aufenthalt und das Weinen waren ihr im Gerichtsgebäude nicht erlaubt, obwohl es ein öffentliches Gebäude war und jeder eigentlich das Recht hatte, sich dort aufzuhalten, wenn er es will.

Nach der Verurteilung wartete meine Frau vergeblich auf eine Nachricht von mir. Nachdem schon zwei Monate vergangen waren, wurde sie immer besorgter und fragte schriftlich beim zuständigen Staatsanwalt an, in welche Haftanstalt ich eingewiesen wurde. Er schrieb zurück, dass ich ihr das schon schreiben würde, wenn ich Interesse hätte, es ihr mitzuteilen. Meine Briefe wurden aber unterschlagen. Erst als unser Pfarrer Lutz Gümbel den von der SED für alle Haftanstalten als Einzigen zugelassen evangelischen Haftanstaltspfarrer Eckart Giebeler einschaltete, erfuhr meine Frau, dass ich mich in Cottbus befand.

Hier ging der Terror weiter. Die meisten Briefe wurden weiterhin unterschlagen. Beim “Sprecher” war jegliche Verständigung untersagt, die die Zukunft der Familie (Anwalt Vogel, evtl. Freikauf) betraf.

Ralf Kotowski

http://www.opk-akte-verfasser.de/sed-diktatur.htm

——-Originalmeldung——-

Von: Hans-Jürgen Grasemann
Datum: 05/24/14 18:51:23
An: Ralf Kotowski
Betreff: Aufruf (Nr. 258)

Sehr geehrter Herr Kotowski,
Ihr Hinweis hat mich veranlaßt, mal wieder in Ihre Infos und Kommentare zu sehen. OPK-Akte Verfasser ist sehr informativ und wert, gespeichert zu werden. Vieles sehe ich wie Sie. Nachdem ich im April Frau Neumann-Becker im ROTEN OCHSEN auf einer gemeinsamen VA kennen gelernt habe, fand ich Ihre Stellungnahme (Verlinkung von K.) gegen die Begründung des Bewerbers RA Bodo Walter treffend. Die Initiative, auch die Ehepartner in die Opferrenten-Regelung einzubeziehen, findet meine Unterstützung. (rote Markierung von K.) Die dazu enthaltenen Ausführungen sind so eindrucksvoll, dass ihnen möglichst große Verbreitung zu wünschen ist. Freuen würde ich mich, wenn wir uns bei Gelegenheit mal wieder auf einer VOS-VA oder anderswo treffen. Wenn ich Ihre Aktivitäten sehe, mutmaße ich, dass es Ihnen gut geht.
Beste Grüße
Hans-Jürgen Grasemann

http://www.ddr-zeitzeuge.de/ddr-zeitzeugen-recherchieren/ddr-zeitzeuge/hans-juergen-grasemann-450.html

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